„Und plötzlich habe ich es nur noch gehasst.“ Marko Kathol, Tenor und Chauffeur

Als Statist startete er seine Karriere. Am Theater Klagenfurt, dort, wo auch Udo Jürgens als junger Mann seine Liebe fürs Piano entdeckte. Marko Kathol war so fasziniert von dieser Welt, dass er mit 17 die Schule schmiss und Balletttänzer wurde. Später Tenor. Vom Erfolg geküsst. Bis zum Burnout.

„Ganze Bücher könnte man füllen“, sagt Marko Kathol über sein Leben. Und ich muss ihm recht geben: Es ist nicht einfach, die Fülle seines Lebens in einen einzigen Text zu packen. Ich versuche es dennoch.

Kennengelernt haben wir uns im Auto. Meine Bandscheibenoperation lag gerade ein paar Tage hinter mir und ich war, noch lädiert und mit einer dicken Halskrause geschützt, auf dem Weg von der Klinik zum Flughafen München. Der Zufall wollte es, dass Marko Kathol mein Chauffeur war.

Ein freundlicher, aufgestellter Herr – er entpuppte sich als gebildet und bereist – warf mir in dieser halben Stunde Fahrt kleine Leckerbissen seiner Geschichte zu. Eigentlich war ich nicht in der Stimmung, Konversation zu betreiben mit einem Wildfremden. Aber sein Leben zwischen Hochs und Tiefs, Ruhm und Depression, der zauberhaften Welt der Oper und der sehr alltäglichen als Chauffeur, faszinierte mich. Irgendwie hatte er alles reingepackt, was ein Leben reich macht: Drama, Leidenschaft, Liebe, Hass, Familie, Weltruhm, Burnout.

Er gab mir seine Visitenkarte. Als ich meine Website KeinHochglanzmagazin.com lancierte, war er ganz oben auf meiner Liste der Wunschkandidaten, die ich gerne porträtieren wollte.

Wo soll man aber nur beginnen?

Sagen wir es so:

Klassisch ist in seinem Leben nur die Musik.

Mit 17 Jahren war er – „um Geld zu verdienen“ – mit zwei Kumpels am Stadttheater im österreichischen Klagenfurt als Statist im Einsatz bei Operettenproduktionen und schnupperte dort erstmals die Luft der Bühne. Die Stars, die Sänger und Balletttänzer, die für ihre Perfektion bejubelt und beklatscht wurden, hatten es ihm angetan: „Ballett ist ja sowas Schönes. Alle sind geschminkt und in traumhaften Kostümen. Ich hatte mein Herz sofort verloren.“

Klack klack machen seine Schritte, er geht nicht mehr, er hüpft übers Parkett, hier im Besucherfoyer der Bayerischen Staatsoper München, wohin er mich geführt hat zu einem Blick hinter die Kulissen seines Lebens.

An der ehrwürdigen Staatsoper, dem Traum eines jeden jungen Klassik-Fans, hat er getanzt. Er, der erst als junger Erwachsener die Kunst des Balletts erlernen wollte und dafür von der Schule ging. „Keiner in meiner Familie hat mich je gefragt, was ich mache, wenn es nicht klappt. Scheitern war einfach nicht in meinem Plan. Trotzdem dachte ich doch nie, dass ich Tänzer bei der Staatsoper werden könnte. Ich ging total naiv da rein.“

Der junge Marko hat unerhörtes Talent.

Ganz ehrlich: Wer würde sein Kind unterstützen, wenn es Mitten in der Pubertät und vor Abschluss der Schulbildung beschliesst, völlig unerfahren Tänzer zu werden? Und das in einer Zeit, als in Deutschland und Österreich kaum ein Mann eine Karriere als Balletttänzer einschlug: „Ich war mit meinem Vater in Wien. Da waren kleine Mädchen, die konnten schon alles und zu mir sagten sie: «Tut uns leid, Sie sind zu alt.». Es gab in Österreich keine Möglichkeit für einen 17jährigen, eine Ballettschule zu besuchen.“

Aufgeben kam dem jungen Kathol aber nicht in den Sinn. Er fuhr kurzerhand nach Deutschland, um dort sein Glück zu versuchen. Seine Risikobereitschaft zahlte sich aus, sein natürliches Talent wurde schnell erkannt: „Mit 17 hab ich auf Ballett gesetzt und mit 19 war ich engagiert an der Bayerischen Staatsoper.“

Zugute kam ihm sein angeborenes Rhythmus-Gefühl und sein definierter Körper, den er dem vielen Sport verdankte, den er als Jugendlicher betrieb: „Ich bin am Wörthersee aufgewachsen. Bergsteigen, Wandern, Rudern standen täglich auf dem Programm. Im Winter Skifahren. Damals gabs kein Internet, wir waren immer draussen. Auch bei Schulskirennen und im Skikurs war ich immer einer der Besten. Ich war stets getrieben vom Ehrgeiz.“

Ehrgeiz, Talent, die häufig geführte Diskussion, was es mehr braucht, um Erfolg zu haben, beantwortet er blitzschnell: „Ehrgeiz. Und noch viel mehr harte Arbeit. Wenn die Jungen heute einem Star nacheifern, dann sage ich: „Schaut, wie hart er gearbeitet hat!“ Das begreifen viele nicht.“

Er hat das Talent, seine Talente zu erkennen.

Da gibts noch ein anderes Talent. Als wäre er nicht schon genug gesegnet, dass er noch vor seinem 20. Geburtstag ins Ballett-Ensemble der Bayerischen Staatsoper aufgenommen wurde. Notabene ohne den klassischen Drill in der Kindheit zu durchleben wie die meisten anderen, die da Karriere machten (Wie seine Frau zum Beispiel, die viel gerühmte Primaballerina Judith Turos, die die harte Schule einer Ballettausbildung in Rumänien und Russland hinter sich hat. Ihre verrückte Lebensgeschichte bedürfte eines eigenen Porträts.).

„Heute wäre ein Werdegang wie meiner undenkbar, aber auch damals war er aussergewöhnlich. Man darf nicht vergessen: Ich besetzte natürlich auch eine Marktlücke. Die Amerikaner waren noch nicht da und die deutschen Männer tanzten kein Ballett.“

Das andere Talent also, da ist noch eines, das das erste sogar übertrumpfte und ihn in den Opern-Olymp katapultierte: Sein Gesang. Seine Stimme. Mit 26 Jahren erst entdeckt. Es klingt unglaublich. Da hat einer eine solide Anstellung an der Staatsoper, da wo alle hinwollen, die wohl bedeutendste Bühne der Ballettwelt, und er tanzt davon.

Wenn sich eine Türe öffnet, soll man hindurchgehen.

Die Geschichte wiederholt sich auch hier: ohne klassische Gesangsausbildung, nur mit einem einjährigen Studienjahr im französischen Bordeaux, wagt sich Marko Kathol ans Vorsingen. In dieser Zeit – als hätte er es geahnt – verunmöglicht ein Bandscheibenvorfall schmerzfreies Tanzen: „Das war der Weckruf. Ich sagte mir: Jetzt hörst du auf mit Tanzen. Jetzt machst du Schluss. Jetzt musst du singen.“

Im Schweizerischen Luzern wird er zuerst abgelehnt. Als man ihn nach zwei Wochen anruft und doch noch unter Vertrag nehmen will, ist er längt anderswo untergekommen. Glücklich über das Angebot und ohne dessen Alltagstauglichkeit zu hinterfragen, unterschreibt er in Würzburg.

Judith Turos, damals als Solotänzerin der Bayerischen Staatsoper selber im Mittelpunkt des Interesses, ist da schon mit ihm verheiratet und Mutter seiner Tochter Larissa. „Er ist ein Mann, er hat an seine Karriere gedacht. Wenn immer möglich, ist er nach Hause gereist. Manchmal sahen wir uns aber einen Monat lang nicht.“

Auch die Kunst der Ehe beherrschen sie.

Wie sie diese fast ständige räumliche Trennung voneinander gemeistert haben, frage ich, im Wissen, dass sie drei Monate nach der Geburt von Larissa auch schon wieder auf der Bühne stand. Nicht nur in Deutschland sondern auf der Welt. Judith Turos gilt als eine der besten dramatischen Tänzerinnen ihrer Zeit. Für die Kinderbetreuung zog ihre Mutter kurzerhand mit ein und sie wohnt bis heute mit den beiden im Reihenhäuschen in München.

Zwei Künstler, die sich auf den berühmten Brettern der Bayerischen Staatsoper kennengelernt hatten vor über 30 Jahren, beide mit einer aufregenden Karriere, auf dem Höhepunkt jeder einzelne, ständig unterwegs, weg vom Partner und vom Kind.

Sie: „Es hätte auch schiefgehen können. Aber wir hatten beide Verständnis füreinander. Auch ich vernachlässigte manchmal die Beziehung. Damals gab es noch kein Whatsapp und kein Email. Zum Teil hatten wir schlicht keinen Kontakt.“

Er: „Ich glaube, uns hat der Stolz auf unsere beiden Karrieren geholfen. Wir hatten es geschafft und trotzdem auch noch unseren Traum einer Familie verwirklicht. Natürlich hatten wir nicht soviel Zeit für unsere Tochter wie andere Eltern. Aber ich habe Larissa häufig zu Proben mitgenommen, da hat sie gesehen, wie so ein Werk ensteht, das ist unbezahlbar. Sie ist hinter der Bühne aufgewachsen.“

Ich habe selber drei Kinder und weiss, wie schwer es ist, eine Balance zu finden zwischen Kind und Karriere. Irgendwer oder irgendwas leidet häufig, wenn man den Anspruch hat, Familie und Job leidenschaftlich zu leben.

Wer, wie das Ehepaar Kathol Turos, ständig in der Weltgeschichte umherreist – von Italien über Israel über Indien über Kanada und die USA -, sich bis zur absoluten Perfektion hochpeitscht, dafür bewundert wird, den Applaus sucht und bekommt, der will doch, dass es nie aufhört? Will nicht nein sagen, auch wenn der gesunde Menschenverstand weiss, dass man sich nicht noch mehr aufbürden kann.

Nein sagen ist auch eine Kunst.

Wie so viele, die vom Erfolg überrollt werden, traf es irgendwann auch Marko Kathol. „Ich sehe mich jetzt noch, wie das Telefon klingelt, ich mir ein Angebot anhöre und sofort mit „ja!“ antworte. Ohne zu nachzudenken. Ich habe in acht Tagen in fünf verschiedenen Städten sechs Produktionen gesungen. Das macht müde, das macht krank. Ein Beispiel: Ich war in Hamburg bis Mitternacht an einem Ball. Für eine Stunde singen habe ich jede Menge Geld gekriegt. Danach bin ich ins Auto gestiegen und nach Wien gefahren. 900 Kilometer in sechs Stunden, weil ich dort am nächsten Tag einen Auftritt hatte. Hallo, wer macht denn sowas?!“

Er, Marko Kathol, der gewohnt war, den Fuss fest aufs Gaspedal zu drücken und die Bremse nicht mehr fand. Sieben Jahre nach seinem kometenhaften Aufstieg als Sänger, nach 30 Jahren auf der Bühne, war Ende Feuer. Flasche leer.

„Ich hatte einfach keine Lust mehr, war krankgeschrieben. Ging nicht mehr aus dem Bett. Ich war plötzlich genau das Gegenteil von dem puren Leben, das ich immer dargestellt hatte. Du bereitest dich ein Leben lang vor auf diese zwei bis drei Stunden Glückseligkeit auf der Bühne. Ich habe es ja geliebt! Und plötzlich habe ich es nur noch gehasst! Habe mir eingeredet, dass alle andern schuld wären.“

Eine Prüfung, auch für seine Frau. Sie, die sich heute als Balletmeisterin an der Bayerischen Staatsoper um die neue Generation der Tänzer kümmert, verstand sein abruptes Karriereende nicht. „Ja, ich war enttäuscht und bin es noch immer. Nicht von ihm als Mensch. Aber es macht mich traurig. Hätte ich seine Chancen gehabt, hätte ich weitergemacht.“

Sie mögen im ersten Moment hart klingen, diese Worte Judith Turos‘. Aber wer weiss, dass die in Rumänien geborene Ungarin mit neun Jahren in ein Balletinternat geschickt wurde und ab 16 den Feinschliff erhielt an der Moskauer Balletakademie – ohne dass sie selber je den Wunsch gehegt hätte, Ballerina zu werden -, der kann den Unmut über ihren Mann vermutlich nachvollziehen.

Über ihn, der aus einer Lust heraus seinen Träumen folgte und so schnell und vermeintlich leicht zu Ruhm und Ehre kam und genauso unberechenbar einen Schlussstrich zog. Ende, aus.

Er setzte sich wieder ans Steuer seines Lebens.

Marko Kathol nickt und ergänzt: „Wenn ich nüchtern zurück bliebe, dann hätte ich natürlich viel intelligenter planen können. Ich hatte ja einfach Erfolg, musste mir nie Sorgen machen, dass kein Theater anruft – nie! -, bis zum Schluss nicht. Aber ich mochte nicht so enden wie manche meiner wirklich tollen Kollegen. Die sterben mit 80 auf der Bühne, auf der sie 60 Jahre lang gestanden sind. Die haben keine Familie, keine Freunde, kein Privatleben, die haben nichts!“

Wochenlang lag er im Bett. Bis er auch das nicht mehr aushielt. So setzte sich Marko Kathol hin, vor ein weisses Blatt Papier und begann sich von Neuem Gedanken zu machen, was er angehen mochte. Mit 48 Jahren. Auf dem Tiefpunkt nach dem Höhepunkt. „Ich habe zehn Sachen aufgeschrieben, die ich mag. Da kam die Idee mit dem Auto fahren. Das habe ich immer gerne gemacht.“

Heute ist er Privatchauffeur und Allrounder. Fällt es ihm, dem Star, nicht schwer, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen und seine Gäste als solche zu behandeln? Er lacht verschmitzt: „Ja, aber du vergisst: Die spielen auf meiner Bühne. Das Auto ist meine Bühne.“

55 ist er nun, denkt er schon an die Rentenzeit? Es erstaunt mich nicht, als er sagt: „Ich weiss jetzt schon ungefähr, was ich in zehn Jahren machen werde: malen!“ Und es würde mich nicht erstaunen, wenn er als Spätzünder – einmal mehr – damit einen Grosserfolg landen würde.

Bilder: Jessica Kassner

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