«2019 steht eine grössere Veränderung an.» Beni Huggel, 41, Ex-Fussballer und Coach
Erst mit 21 Jahren startete Beni Huggel als Fussballprofi durch, dafür aber richtig: Mit dem FC Basel wurde er 7x Schweizer Meister und spielte 41 Partien mit der Schweizer Nationalmannschaft. Mit 41 Jahren wagt er einen Neustart als Coach von Führungskräften.
Wir treffen uns an einem nebligen Tag auf dem Basler Münsterplatz. Kalt und grau präsentiert sich dieser Ort, den Beni Huggel für unser Treffen ausgesucht hat. Nicht den Barfüsser- oder Marktplatz, wo der Klub zusammen mit den Fans die grössten Erfolge feierte, jeweils in einem bunten Menschenmeer.
Hier: menschenleer. Dieser Gegensatz passt zu Beni Huggel. Der ehemalige Fussballstar liebt Menschen, aber meidet privat grosse Menschenansammlungen, fiel schon während seiner aktiven Sportlerkarriere auf durch seine Andersartigkeit. Er entsprach nie dem typischen Klischee des erfolgsverwöhnten Fussballers: Blitzgescheit und differenziert kann man mit ihm über alles parlieren. Ein belesener, vielseitiger Mann, dieser Beni Huggel.
Am 7.7.77 geboren, spielt die Zahl 7 auf eigentümliche Weise eine Rolle in seinem Leben. Ein Gespräch über 7-Jahres-Rhythmen, die Bundesratswahl und (Wut-)Ausbrüche.
«Ich war ein Langsamstarter.»
Anna Maier: Ende Jahr ist – auch bei dir – Zeit zur Reflexion. Ich weiss von dir, dass du dann die Agenda durchgehst und schaust, was im vergangenen Jahr alles passiert ist. Wie war dein 2018?
Beni Huggel: Mein Sommer stand natürlich vor allem im Zeichen der Fussball-Weltmeisterschaft in Russland, wo ich als Experte beim Schweizer Fernsehens im Einsatz war. Danach war ich drei Wochen im Urlaub. Das heisst, den Sommer durch war ich fast zwei Monate unterwegs. Das war sehr prägend.
Beruflich bin ich daran, neue Weichen zu stellen: Anfang Jahr habe ich eine Weiterbildung abgeschlossen. Ja, es lief recht viel in diesem Jahr.
Du scheinst gerne zurück zu schauen. Ist das ein bewusster Entscheid, um Dinge im neuen Jahr anders zu machen?
Nein, ich schaue nicht nur zurück. Ich schaue auch sehr viel voraus, was im 2019 gehen wird. Wenn sich mein Leben in 7-Jahres-Schritten verändert, wie das bisher der Fall war, dann ist es so, dass nächstes Jahr eine grössere Veränderung anstehen würde.
Um die Bibel zu bemühen: Befindest du dich am Ende der sieben fetten oder der sieben mageren Jahre?
Der sieben mageren (lacht). Theoretisch müssten jetzt die sieben fetten Jahre kommen.
Es gibt ja Menschen, die sehen diesen 7-Jahr-Rhythmus im Leben als gegeben. Glaubst du daran?
Ja, das hat schon was. Man kommt zur Welt und mit sieben beginnt die Schulzeit. Mit 14…
…hast du das Gymnasium noch nicht hingeschmissen, oder?
Noch nicht! (lacht) Da war ich aber schon schlecht in der Schule. Ich habe mich durchgemogelt. Die Pubertät. Mit 21 wurde ich Profi-Fussballer, sehr spät. Mit 28 Jahren wechselte ich ins Ausland zu Eintracht Frankfurt. Mit 35 Jahren beendete ich meine Karriere. Und nächstes Jahr werde ich 42.
«Ich war am Schluss meiner Karriere etwas gar negativ.»
Du hast vor einiger Zeit ein Coaching gemacht, was du bis zum Jahr 2019 erreichen möchtest. Und?
Was ich mir damals vorgenommen habe, habe ich umgesetzt.
Was denn?
Zum Beispiel, dass ich gewisse Dinge hinter mir lasse aus der Fussballkarriere. Ich war am Schluss meiner Karriere etwas gar negativ.
Was war der Auslöser für diese Negativität?
Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass etwas wegbrach, was für mich sehr wichtig war, was mich ausgezeichnet hat. Meine Profi-Karriere hat mir Bestätigung gegeben. Mein Name stand dafür. Ich hatte wohl recht viel Mühe mit dem Schritt, diese Karriere aufzugeben. Ich habe zwar immer gesagt, dass ich ja freiwillig aufgehört habe, aber es ist im Profisport eben nie ganz freiwillig.
«Ich habe das Spiel gespürt, war geistig in Topform.»
Was waren denn die eigentlichen Gründe, wenn du dein Karriereende heute aus einer gewissen Distanz anschaust?
Ein Grund war, dass es bei Basel so nicht mehr weitergegangen wäre. Ich hätte den Verein wechseln können, das wollte ich aber nicht.
Wegen des Alters?
Ja, auch wegen des Alters. Aber vor allem wegen der Gesundheit. Meine Knie zeigten Verschleisserscheinungen. Jedes Jahr, welches ich länger auf dem geforderten, hohen Niveau gespielt hätte, hätte dieses Problem verschlechtert.
Du sagst, du seist zu negativ gewesen. Wie hat sich das geäussert?
Am Ende meiner Karriere wusste ich so viel über Fussball wie nie zuvor. Ich habe das Spiel gespürt. Ich hätte dir prozentual sagen können, wie die Waage eines Spieles steht, selbst wenn es 0:0 stand. Jegliche Feinheiten spürte ich wahnsinnig gut, war geistig in Topform. Und genau zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass der Körper nicht mehr auf diesem Level mitmachen kann.
Das ist brutal.
Ja, sehr. Und dann habe ich gedacht, dass ich Trainer werden will.
Und es war dir sehr ernst damit?
Oh ja! Ich habe mich voll in das Thema reingestürzt. Ich musste dann aber merken, dass es ein ganz anderer Job ist als der des Spielers. Man hat weniger Hebelwirkung, als ich es als Spieler hatte.
Als Trainer kannst du den Spieler nur bis zu einem gewissen Grad formen.
Das ist genau der Punkt, der mich desillusioniert hat. Und mich hat die Frage beschäftigt: Wie viele von den Spielern, die ich trainiere, haben effektiv die Kapazitäten, das zu begreifen, was ich ihnen beibringe? Wie viele wollen wirklich etwas lernen oder sagen zwar «Ja!», aber setzen nicht um.
«Für mich war an diesem Punkt Schluss.»
Ich nehme dich als sehr ehrgeizigen Menschen wahr. Du hast dir stets was Neues gesucht, das dir die Anerkennung und Bestätigung frontal einbringt – sei es als Jugendlicher in einer Band oder später als Fussballer. Kein Wunder nervt es dich, wenn andere nicht denselben Biss zeigen. Hast du den Eindruck, dass der Generation nach uns der Ehrgeiz fehlt?
Schwierig zu sagen. Aber für mich war an diesem Punkt Schluss. Weil ich selber so ehrgeizig bin, hatte ich das Gefühl, dass sie nicht das umsetzen, was ich von ihnen wollte. Vor allem, als ich dann Erwachsene zu trainieren begann…
Noch schlimmer? (lacht)
Ja, die sind natürlich weniger formbar als die Jungen, weil sie schon mehr Persönlichkeit entwickelt haben. Zudem hingen sie oftmals einem Traum nach, der nicht realistisch war. Sie dachten zum Beispiel, sie könnten noch Profi werden. Diese Wahrnehmungsverschiebung hat mich gestört.
Es gibt natürlich immer Ausnahmen, dass einer aus der vierten in die höchste Liga aufsteigt. Aber das ist wirklich einer aus Zehntausenden. Trotzdem hatten einige noch das Gefühl, sie könnten das erreichen. Sie betrogen sich damit selber. Das klingt vielleicht etwas hart. Aber ich konnte es halt überhaupt nicht nachvollziehen.
Und das sage ich, obwohl ich selber ja auch ein Spätzunder war: Ich habe mit 19 Jahren erst in der vierthöchsten Liga gespielt. Damals bekam ich Angebote aus der 1. Liga. Ich habe mir aber immer gesagt, dass ich nur entweder nach ganz oben aufsteige, oder sonst lieber bleibe, wo ich damals war.
Schritt für Schritt war keine Option für dich?
Höchstens als Versuch für zwei Jahre. Aber ich stellte mir die Frage: Wieso soll ich eine Liga höher spielen, habe mehr Aufwand, aber verdiene trotzdem nichts? Zwischen 18 und 22 hätte ich das machen können, okay. Für mich war aber schon damals klar, entweder bekomme ich mal die Möglichkeit, ganz oben zu spielen, oder sonst lasse ich es. Vielleicht war das auch einfach jugendlicher Übermut.
«Mir wurde mitgegeben, dass man alle Menschen gleich behandelt.»
Ich musste gerade schmunzeln, als du sagtest, dass du so ehrgeizig seist und es dich wahnsinnig gemacht habe, wenn andere nicht denselben Biss zeigten. Ich habe mir versucht vorzustellen, wie sich deine Eltern gefühlt haben müssen, als ihr Sohn, in den sie so viel Liebe investiert hatten, eine Zeit lang alles machte, was ihren Wunschvorstellungen widersprach.
Hast du mit meinen Eltern telefoniert?
Nein, aber ich weiss, dass du in einem gutbürgerlichen Haushalt aufgewachsen bist und als Teenager ziemlich rebelliert hast. Du hast nur noch Fussball gespielt und das Gymnasium hingeschmissen. Was war das für eine Phase?
Ich habe irgendwann einfach bemerkt, wo meine Stärken liegen und wo sie mehr wert sind. Beim Sport erhielt ich meine Anerkennung. Die Schule selber war mühsam für mich. Ich wuchs aber in einer Familie auf, in der Bildung sehr wichtig war. Und ich habe stets entgegnet, dass man mit Wissen gar nichts anfangen könne.
Wenn ich mir übrigens anschaue, was unsere Kinder heute lernen, dann hat sich in den Schulen wenig geändert. Zu unserer Zeit gab es noch kein Internet, heute kann man sich sein Wissen komplett ergoogeln und trotzdem geht es in den Schulen oft nur um Wissensvermittlung. Da frage ich mich manchmal, wie es denn um die Kompetenzentwicklung steht. Aber das ist ein anderes Thema.
Auf jeden Fall habe ich mich im Gymnasium überhaupt nicht wohlgefühlt. Ich hatte vom Fussball viele Freunde aus den unterschiedlichsten Schichten. Auch Realschüler, mit denen ich immer noch sehr gut befreundet bin. Mir wurde mitgegeben, dass man alle Menschen gleich behandelt – egal, was sie erreicht haben, egal, wer sie sind. Dafür bin ich sehr dankbar.
Im Gynmasium war ich umgeben von teilweise sehr elitären Menschen, die ihr ganzes Leben schon verplant hatten: Mit der Anwaltsprüfung oder der Arztpraxis, die sie vom Vater übernehmen sollten.
Ich war aber auch einfach schlecht, weil ich einfach zu wenig gelernt hatte.
«Für meinen Vater ist eine Welt zusammengebrochen.»
Dich hat die Schule schlicht nicht interessiert?
Gar nicht. Heute sagt mir jemand, mit dem ich noch befreundet bin, dass ich mich nur ein bisschen hätte anstrengen müssen und dann hätte ich das Gymnasium auch geschafft. Damals hatte ich aber das Gefühl, dass ich ganz einen anderen Weg einschlagen musste. Ich habe hingeschmissen und eine Gärtnerlehre absolviert.
Wie haben deine Eltern reagiert?
Für meinen Vater ist eine Welt zusammengebrochen. Eine akademische Ausbildung war sein Traum, er konnte sich eine solche als junger Mann nicht leisten. Er musste sich die Matura im Nachstudium erarbeiten. Und ich schmiss einfach hin. Er liess es mich zwar nicht spüren, aber ich wusste, dass ich ihn sehr enttäuscht hatte.
Wieso Landschaftsgärtner?
Ich weiss gar nicht mehr, wie ich dazu kam. Aber ich fand es cool, weil man draussen ist. Und man hat ein Resultat von dem, was man macht. Ich bekam diese frontale Anerkennung, die du erwähnt hast (lacht).
Von wem?
Von den Mitarbeitern, von Kunden.
«Ich brauchte ein Korsett mit klaren Strukturen.»
Warum suchst du diese Anerkennung so sehr?
Du bist die Erste, die das rausfindet.
Das braucht nicht wahnsinniges Fingerspitzengefühl.
Ja, und weil…
Ähm, weichst du jetzt aus?
Ich wollte zuerst noch die vorherige Frage fertig beantworten: Warum ich Landschaftsgärtner werden wollte. Für mich war es gut, mich in einem Korsett zu bewegen, welches klare Strukturen hatte.
Wirklich? Das erstaunt mich jetzt wieder. Du befreist dich aus einem Korsett, um freiwillig in ein anderes gepresst zu werden?
Das Korsett davor hatte keine Strukturen.
Und die brauchst du?
Heute brauche ich sie nicht, aber damals hat es mir gutgetan.
Du wolltest, dass man dir einen klaren Auftrag erteilt, den du erfüllen konntest?
Richtig. Ich war dann auch in der Berufsschule plötzlich gut. Das hat mir Selbstvertrauen gegeben. Ich habe die Lehre gut abgeschlossen.
«Hätte ich doch damals mehr auf die Zähne gebissen.»
Du hast erwähnt, dass dein Vater sich alles hart erarbeiten musste. Du selber hast nach deiner Fussball-Karriere ein CAS in BWL gemacht und bist aktuell in einer Ausbildung im Coaching-Bereich. Hast du es auch schon bereut, dass du nicht den akademischen Weg gegangen bist?
Ja, ich habe es schon häufiger bereut. Ich denke oft, hätte ich doch damals einfach mehr auf die Zähne gebissen. Aber ich muss auch sagen, zum damaligen Zeitpunkt konnte ich gar nicht anders.
Nachholen war keine Option?
Ich kam dann in die Fussball-Schiene rein. Die ersten zwei Jahre wusste ich nicht genau, wie lange das gut gehen wird. Ich war ein Langsamstarter. Irgendwann habe ich mir das schon überlegt und mir von AKAD Informationen zuschicken lassen. Bei Basel hatten wir dann aber internationale Spiele, fast jeden dritten Tag ein Spiel. So war es bald kein Thema mehr.
«Berufserfahrung habe ich keine, weil ich 15 Jahre Sport gemacht habe.»
Das, was du beschreibst, blüht aber doch jedem Profisportler: Dass man in ganz jungen Jahren, wenn man körperlich im Saft ist, voll auf die Karte Sport setzt. Irgendwann ist man dann 30, 35 Jahre alt und merkt, dass der Plan B fehlt. Müsste man den jungen Sportlern nicht die Chance auf eine berufliche Aus- bzw Weiterbildung bieten?
Ich stelle eine Gegenfrage: Was bringt dir eine Ausbildung ohne Berufserfahrung? Ich spüre das zurzeit sehr. Wenn ich mich irgendwo bewerbe, kommt die Frage nach dem Alter. Und dann sage ich: Ich bin 40. Berufserfahrung habe ich keine, weil ich 15 Jahre Sport gemacht habe.
Wenn du also in jungen Jahren parallel eine Zweitausbildung absolvierst, zeigt der Track Record trotzdem, dass du gar nie auf diesem Beruf gearbeitet hast.
Aber grundsätzlich gebe ich dir recht. Und heute mit diesen Video Learnings und Blended Learnings ist es auch viel einfacher, sich Wissen anzueignen, zu lernen.
Sich im sehr anspruchsvollen, strukturierten Sportlerleben die Zeit zu nehmen um zu studieren anstatt sich auszuruhen, das braucht viel Überwindung, oder?
Ja, das braucht viel. Es braucht vor allem Weitsicht. Für gewisse Sportler wäre es sicher besser, dazu verpflichtet zu werden, als es auf freiwilliger Basis zu schaffen. Im Fussball ist eine Weiterbildung während der Aktivzeit leider gar nicht Gang und Gäbe.
In anderen Sportarten wie im Eishockey viel mehr: Torwart Leonardo Genonihat für sein Studium von Davos nach Bern gewechselt. Sowas wäre im Fussball undenkbar. Ich bin aber der Überzeugung, dass dies im Fussball genauso kommen sollte.
«Ich hatte den Eindruck, dass meine Fähigkeiten plötzlich nichts mehr wert waren.»
Damit du nicht irgendwann – mitten im Leben, in deinen besten Jahren – dir eine neue Leidenschaft suchen musst?
So ist es.
Das beschäftigt sehr viele Leute – ob sie nun Sportler sind oder nicht. Ist es aber nicht noch schwieriger, eine neue Passion zu finden, wenn du eine hattest, die dein ganzes Leben bestimmt hat?
Das war auch der Grund, warum am Ende meiner Aktivkarriere diese Negativität aufkam. Weil ich gemerkt habe, dass meine Fähigkeiten plötzlich nichts mehr wert waren.
Kurz bevor du dich vom Profisport verabschiedet hast, hast du in einem Interview vorausgesagt, dass da ganz sicher eine Leere kommen wird. Was hast du dagegen unternommen?
Am Anfang habe ich mich sehr in dieses Trainerbusiness gestürzt. Diese Leere war damit nur bedingt da. Dann habe ich aber schnell gemerkt, dass das Trainerdasein doch nicht das Richtige für mich ist, und sie kam zurück. Es dauert einfach einen Moment, bis man begreift, dass es nach so vielen Jahren wirklich vorbei ist.
Hast du es jetzt akzeptiert?
Ja, ja. Jetzt ist es schon sechs Jahre her. Jetzt sehe ich es sogar etwas anders: Viele Leute nehmen mich noch immer als Fussballer wahr. Die Frage ist, ob ich es schaffe, dass mich die Leute nicht nur als Fussballer wahrnehmen.
«Viele scheinen der Meinung, Fussballer seien grundsätzlich dumm.»
Ist das ein Fluch?
Nein, es ist kein Fluch. Es ist ein Segen. Aber wir Menschen wollen gerne schubladisieren. Und meine Schublade ist immer die des Fussballers und die ist weit unten. Viele Schweizer scheinen der Meinung, Fussballer seien grundsätzlich dumm, so besagt es zumindest das Klischee. Ich sage immer «unter den Blinden ist der Einäugige König».
Das wärst dann du?
Das hast jetzt du gesagt (lacht). Einäugig aber nur, nicht gutsehend. Ich habe nach wie vor mit vielen Fussballern zu tun und ich kann bezeugen: Es gibt sehr intelligente Spieler: Marco Zwissig, Fabian Frei, ich habe gesehen, wie Akanji im Fernsehen kopfgerechnet hat, ich war schwer beeindruckt.
Fussballer sind ein Spiegel der Gesellschaft: Wenn man zu dumm ist, kann man gar kein guter Fussballer sein. Die Anforderungen auf dem Platz sind mittlerweile sehr komplex.
Hast du manchmal das Gefühl, dass du dich erklären oder rechtfertigen musst, weil du Fussballer bist?
Nein, das nicht. Aber es verläuft immer nach dem gleichen Schema. Du beginnst mit einem Gespräch und nach fünf Minuten kommt dann ein Spruch wie: «Du bist ja gar nicht so ein dummer Fussballer».
Ganz anders begegnet man dir, wenn du dich an der Basler Fasnacht unter einer Larve versteckst. Wie befreiend ist das für dich?
Sehr befreiend. Das macht mir viel Spass. Es ist lustig, wenn dich die Menschen nicht als das erkennen, was du bist.
Ich finde das schön: Man spricht mit Menschen, die man nicht kennt und am Schluss nimmt man die Larve ab und dann sagen sie «Ah, du bist das!».
Und dann erschrecken sie?
Dann werden sie sofort freundlicher (lacht).
«Den Harry Potter-Tarnumhang gibt es halt nicht.»
Erstaunlich, dass du die Basler Fasnacht so magst, wo du sonst den Menschenmassen eher aus dem Weg gehst. Du bist ein grosser Musikliebhaber, gehst aber nicht an Konzerte, weil du dich in der Masse nicht wohlfühlst. Das bedeutet aber, dass deine Bekanntheit einschneidende Konsequenzen für deinen Alltag hat?
Ich gehe schon an Konzerte, aber an ein Open-Air würde ich nicht gehen.
Es stört mich nicht an sich, unter Menschen zu sein. Ich unterhalte mich auch gerne mit fremden Menschen.
Das Erlebnis Open-Air kann ich einfach nicht geniessen wie jeder andere. Ich kann dort nicht eintauchen wie jemand anders das kann. Weil mich die Leute kennen. Leute sprechen mich an, die mich sonst nicht ansprechen würden, sie wollen Fotos, sie hören zu, was ich sage. Es gibt einige, die zu viel getrunken haben und beleidigend werden und die Hemmungen verlieren. Den Harry Potter-Tarnumhang gibt es halt leider nicht.
Ich bringe gerne das Beispiel, dass junge Menschen nie mehr das Gefühl haben können, unbeobachtet zu sein. Früher war man mit seinen Jungs unterwegs und jemand hat zum Beispiel gefragt, ob man über etwas rüber springen kann. Dann haben das alle probiert, einer ist vielleicht übel gestürzt. Nur diejenigen, die da waren, haben es gesehen. Es gab keinen Beweis davon.
Das gibt es heute nicht mehr. Alles ist potentiell gefilmt. Und das Internet vergisst nie. Du findest sofort etwas, was ich in einem Interview vor acht Jahren gesagt habe. Du googelst meinen Namen und das selbe poppt immer wieder auf. Das verändert die Menschen. Man wird viel berechenbarer. Und ein gewisses Mysterium, das ich cool finde, geht so verloren.
Was gibst du deinen Kindern mit bezüglich Öffentlichkeit und Soziale Medien?
Wir sprechen mit ihnen sehr viel darüber. Wir zeigen ihnen Beispiele, was Social Media für einen Einfluss haben kann – gerade bei Mädchen. Mit dem Wissen, dass gewisse heikle Bilder oder Infos nie mehr aus dem Netz verschwinden. Wir geben ihnen mit, wie etwas gegen aussen wirken kann, weil wir mehr Lebenserfahrung haben.
Hören sie auf dich?
Bis jetzt schon, ja (lacht).
«Ich finde nichts so schlimm wie überehrgeizige Eltern.»
Erkennst du dich in ihnen wieder? Genau in ihrem Alter wolltest du ausbrechen. Spürst du solche Tendenzen bei ihnen?
Nein, nicht wirklich. Wir sprechen viel mehr mit ihnen, als mit mir gesprochen wurde. Es freut mich immer, wenn sie mit Anliegen auf mich zu kommen. Dann kann man noch eingreifen. Ganz viele Dinge erzählte ich früher meinen Eltern gar nicht. Es war einfach eine andere Zeit, eine andere Welt.
Denkst du, dass wir näher an unseren Kindern dran sind, als es unsere Eltern bei uns sein konnten?
Vielleicht ist das die Illusion aller Eltern, ich weiss es nicht. Momentan habe ich das Gefühl, ja. Aber sie sind auch noch vorpubertär.
Ich frage, ob sie dir nacheifern, weil ich weiss, dass dein Sohn nicht unbedingt auf dich gehört hat. Es war wohl nicht dein erster Wunsch, dass er Fussballer wird. Wie das bei deinen Eltern auch nicht der Wunschtraum war.
Also, ich finde es grundsätzlich natürlich toll, weil es eine Leidenschaft ist, die wir gemeinsam teilen. Aber es ist halt so, wenn ich an einem Match bin, fragen die nicht so Schlauen, was ich hier mache. «Ah, ihr Sohn spielt hier, welcher ist es?». Da habe ich dann auch schon eine falsche Nummer gesagt.
Ist dein Sohn sich bewusst, dass – wenn er weitermacht mit Fussball – er immer mit mir verglichen werden wird?
Ja, er weiss das. Er spielt im Dorfverein, dort wissen es alle. Dort ist das kein Thema.
Wenn du deinen Sohn spielen siehst: Kannst du dabei in dir ruhen und dich zurücknehmen?
Absolut! Ich finde nichts so schlimm wie überehrgeizige Eltern… Nehmen wir meine eigene Jugend: Ich wurde nicht gefördert und habe es trotzdem geschafft. Also glaube ich nicht an extreme Förderung. Ich fördere meine Kinder nicht, ich unterstütze sie.
Ich bringe immer gerne das Beispiel Roger Federer: Er hat selber mit 14 Jahren entschieden, dass er ins Welschland geht und voll auf die Karte Tennis setzt.
Und dafür die Schule verlässt.
Richtig. Die Eltern waren sich nicht sicher. Wenn er Heimweh hatte, haben sie gesagt: Du wolltest das, jetzt musst du dich durchbeissen.
«Agglomerationen sind häufig Nährboden für grosse Entwicklungen.»
Ihr seid beide in Münchenstein BL aufgewachsen. Wie gut kennt ihr euch?
Wir kennen uns okay. Wir telefonieren ab und zu, schreiben ab und zu eine SMS.
Freunde?
Ja, aber er ist so viel unterwegs, wir sehen uns nicht so viel. Und ich bin da sehr zurückhaltend. Ich höre immer auf das Signal vom Gegenüber, egal ob das ein Promi ist oder nicht.
Roger Federer ist vom Typ her sowas von normal mit all dem, was er erreicht hat, das ist immer wieder faszinierend.
Was ist in Münchenstein im Wasser, dass dort nicht nur ihr zwei, sondern auch noch andere erfolgreiche Sportler gross geworden sind?
Ja, die Yakin-Brüder sind auch aus Münchenstein. Ich weiss es nicht. Diese Agglomerationen sind häufig Nährboden für grosse Entwicklungen… (lacht). Dort, wo Yakins und Federer aufgewachsen sind, das ist sehr nahe am Joggeli Stadion.
Bei Federer war ja lange nicht klar, ob er sich fürs Tennis oder den Fussball entscheidet.
Das stimmt! Die Yakins und Federer gingen früher immer zusammen auf diese Anlagen zum Fussball spielen.
«Die Bundesratswahl ist der Klassiker, um zu sehen, wie die Schweiz funktioniert.»
Ich würde sehr gerne zurückkommen auf die Frage, die du mir nicht beantwortet hast: Woher kommt dein Streben nach dem Obersten? Das finde ich übrigens überhaupt nicht negativ.
Schon nur, dass du das sagst, zeigt, dass es in der Schweiz negativ behaftet ist.
Findest du?
Ja, die Bundesratswahl ist der Klassiker, um zu sehen, wie die Schweiz funktioniert. Man darf nie als Favorit gelten und dann kommt man plötzlich durchs Hintertürli rein.
Du nimmst kein Blatt vor den Mund. Du bist ein Streitbarer. Du klagst, wenn dir Unrecht getan wird. Das braucht Mut. Woher kommt der?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich kann das nur so beantworten, dass dieser schon immer in mir drin gewesen sein muss.
Dann müsstest du ein anstrengendes Kind gewesen sein, aber das warst du ja offenbar nicht.
Nein, das war ich tatsächlich nicht. Ich war überhaupt kein anstrengendes Kind. Ich habe nur früh gespürt, wie ich mich verhalten muss, damit gewisse Dinge funktionieren.
Du hast die Menschen manipuliert?
Das ist die negative Auslegung – vielleicht, ja.
Dann nenn ich die positive Auslegung: Du hast eine grosse Menschenkenntnis, wenn du weisst, wie du an dein Ziel kommst.
Mag sein. Aber ich habe immer sehr auf Ungerechtigkeit angesprochen. Damit kannst du mich heute noch wütend, aggressiv und laut machen.
Was kommt danach?
Dann kommt Streit.
So richtig?
Ja, so richtig.
Wie holt man dich da wieder raus?
Mit Optionen. Wenn ich selber entscheiden kann, dann ist das kein Problem. Egal, wie fest wir Streit hatten.
Wenn ich aber einen Streit habe mit jemandem und derjenige dann anfängt, mich zu loben oder abzulenken, dann regt mich das nur noch mehr auf. So einfach geht’s bei mir nicht.
«Was mich nachhaltig ärgert, ist Ungerechtigkeit.»
Bist du nachtragend?
Nein, ich bin überhaupt nicht nachtragend. Kannst meine Frau fragen.
Wieso soll ich deine Frau fragen?
Sie würde das bestätigen.
Was mich aber wirklich nachhaltig ärgert ist Ungerechtigkeit. Es ist immer das Gleiche: Es passiert etwas Ungerechtes, zum Beispiel die ganze Türkei-Geschichte 2005 (Ein türkischer Assistenztrainer behinderte Valon Behrami und stellte ihm ein Bein, darauf verpasste Huggel diesem Türken von hinten einen Tritt).
Was wir dort erlebt haben, war ungerecht. Meine Reaktion kam genau deswegen. Dass ich dafür verurteilt worden bin, ist mir – objektiv gesehen – klar. Man hat mich gesehen, «caught on tape». Aber ich habe jahrelang gebraucht, um damit umgehen zu können.
Und trotzdem bin ich zu positiv, um jahrelang rumzulaufen und mich zu beschweren, wie viel Ungerechtes passiert ist.
Diese Geschichte erinnert mich an die Doppeladler-Affäre an der diesjährigen WM. Hast du mit Shaqiri und Co darüber gesprochen?
Ich habe immer wieder Kontakt mit ihnen. Ich kann es ein Stück weit nachvollziehen, warum das passiert ist. Mit all dem, was vorher abging. Im Gegensatz zu mir war es weniger schlimm. Es war eine Geste, die nicht direkt an jemanden gerichtet war.
Sie haben nicht getreten.
Ja, das ist strafrechtlich ein grosser Unterschied.
Wenn du in dieser Wut drin bist…
Jetzt komme ich als Wütender rüber… (lacht)
Nein, überhaupt nicht. Für mich hat das alles vielmehr mit Leidenschaft zu tun. Spürst du dich in diesen Momenten noch? Oder gibt es Situationen, nach denen du denkst: Warum habe ich das bloss gemacht?
Ja, natürlich! Das ist klar. Wenn das nicht so wäre, würde das nicht für mich sprechen. Es ist mir schon bewusst, dass ich manchmal total über das Ziel hinausgeschossen bin.
«Ich kann wieder ganz frisch nach Neuem streben.»
2019 steht vor der Tür. Du hast gesagt, dass du gerne vorausschaust. Mit was fängt für dich das neue Jahr an?
Ich habe das Gefühl, dass der Prozess der Nachkarriere soweit abgeschlossen ist, dass ich wieder ganz frisch nach Neuem streben kann.
Und das wäre?
Das Coaching zum Beispiel.
Was beinhaltet das genau?
Ein Training für Führungskräfte. Das Coole an dieser Ausbildung ist, dass sie nicht hochgestochen, sondern sehr direkt und praxisnah aufgebaut ist. Präsenzpflicht ist nur ein halber Tag pro Monat. Man kann einsteigen, wann man will. Es baut nicht aufeinander auf.
Und Kunden gibt es zuhauf: Es gibt so viele Menschen, die – quasi unvorbereitet – in eine Führungsposition kommen, entweder sind sie selbstständig und müssen Leute anstellen oder sie sind der beste Mitarbeiter und werden befördert.
Was machst du mit ihnen?
Einerseits natürlich das Programm dieser Leaders Academy, welches ich mit ihnen durchführen werde, und andererseits kommen meine Erfahrungen als Sportler und auch als geführter Sportler – wie ich die verschiedenen Führungsstile der Trainer erlebt habe – zum Tragen. Meine Coachings sind garniert mit sehr vielen Anekdoten.
Und ich arbeite gerne mit Praxisbeispielen: Wenn du eine Fussballmannschaft führst, dann finden dich die 11 Spieler auf dem Feld grundsätzlich mal toll, die anderen finden dich nicht toll. Das ist die Ausgangslage. Aber wie schaffst du es, die Spieler, die auf der Ersatzbank sitzen, so weit zu bringen, dass wenn sie spielen, sie ihre beste Leistung abrufen können?
Da habe ich einige Trainer erlebt, die das besser gemacht haben als andere.
«Ich liebe es, mich mit Leib und Seele einer Sache hinzugeben.»
Das heisst, du willst Vorgesetzte dazu bringen, dass sie Mitarbeiter, die in der Regel eher nur mitlaufen, zu ihrem grossen Moment führen?
Du hast vorhin etwas Interessantes gesagt: Es gibt viele Leute mit Talent, dieses aber nicht ausschöpfen. Genau das ist doch das Thema. Und auch, dass Führungsleute sich bewusst werden, was das bedeutet.
Ich sehe das oft in Unternehmungen, dass Menschen, die in leitende Positionen befördert werden, das Gefühl haben, sie könnten gleich viel arbeiten wie früher und auch noch führen. Aber das macht gar keinen Sinn.
Führen bedeutet, die die arbeiten, dorthin zu bringen, wo sie ihre beste Leistung abliefern können – und damit zufrieden sind. In unsere Gegend ist das noch nicht wirklich durchgedrungen. Man hat immer das Gefühl, dass Führen nicht gleich arbeiten sei.
«Viel verdienen und nichts machen» – ein weiteres Klischee. Es klingt nach einem für dich sehr spannenden Bereich, in dem du deine Erfahrungen weitergeben kannst. Trotzdem die Frage: Fussball war dein Leben. Gibt es nochmal eine solche Passion, der du dich mit Leib und Seele verschreiben kannst?
In unserem Vorgespräch habe ich das verneint und heute sage ich, ich hoffe, dass ich wieder mal eine solche Passion finde. Bis jetzt habe ich es noch nicht, aber ich hoffe es. Weil ich es liebe, mich mit Leib und Seele einer Sache hinzugeben.
Du suchst das?
Ja. Viele haben mich in meiner Profikarriere gefragt, wie ich es geschafft habe, mich täglich fürs Training zu motivieren. Ich habe dann immer geantwortet, dass ich es geil finde, jeden Tag zu trainieren.
Ich zweifle natürlich daran, ob ich in meinem Leben nochmal einen gleichen Antrieb finde, wie ich das im Sport hatte. Ich stelle es in Frage, auch wegen meines Alters. Kann man wirklich zweimal im Leben diesen unglaublichen Biss haben? Es wird sich zeigen. Als Sportler ist man aber ein Stück weit sein ganzes Leben lang Sportler im Kopf. Man optimiert immer, wie man bestmöglich zu seinen Leistungen kommt.
Text: Anna Maier
Fotos: Silvan Dietrich/ Leica
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Cate
Wieder ein spannendes Interview, liebe Anna. Ich kann mir vorstellen, mit wie vielen Vorurteilen er zu kämpfen hat. Auch ich war ehrlich gesagt nicht frei von dem vorschnellen Urteil: Oh, ein Fussballer der Intellekt besitzt und sich um so viele Dinge Gedanken macht. Shame on me! Lieben Dank für die Einblicke und alles „Fette“ für den neuen 7er-Abschnitt wünsche ich Ihnen, lieber Beni Huggel!
Anna Maier
Liebe Cate, danke dir fürs Lesen und Kommentieren. Wir alle schubladisieren doch, auch wenn wir dies gar nicht wollen :-). Und dabei verpassen wir dann manchmal die Überraschung. Solch differenzierten, reflektieren Denker wie Beni Huggel sind ein Gewinn, finde ich. Einfach als Mensch, nicht nur als Fussballer oder Trainer oder Coach. xxx
Willy Burgunder
Ausgezeichnet. Eigentlich auch Pflichtlektüre für frisch Pensionierte,die Analyse von Beni Huggel bezüglich Ende eines Lebensabschnitts ist auch für diese Altersgruppe bemerkenswert interessant.
Anna Maier
Lieber Herr Burgunder, besten Dank für Ihre Nachricht. Ich finde das Thema Pensionierung ebenfalls eines, das unbedingt mehr Beachtung finden sollte. Sich neu erfinden müssen, sich eine neue Passion suchen – ja, da gibt es viele Parallelen zum Profi-Sportler, der sich gezwungenermassen plötzlich neu orientieren muss. Beste Grüsse, Anna Maier