«Im Kopf organisierst du bereits deine Beerdigung.» Julia Curty, Brustkrebs-Betroffene

Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen. Jährlich erkranken in der Schweiz ca 6000 Frauen. Davon sterben ca 1400. Schicksale, die nicht nur Einzelpersonen erschüttern, sondern das ganze Umfeld. Für sie gibt es den 1. Brustkrebs-Patientenkongress.

Nach meinem Interview mit Chris, dem Partner der verstorbenen Hamburger Bloggerin Kim kam der Vorstand von EUROPA DONNA Schweiz, einer Organisation für Brustkrebs-Betroffene, auf mich zu. Für den 1. Brustkrebs-Patientenkongress am 30. März in Bern bin ich nun als Moderatorin mit dabei. Ziel ist, möglichst viele Erkrankte – aber auch deren Familien und Freunde! – zu erreichen. Alle Informationen zum Anlass gibt es hier.

Eindrücklich finde ich, dass die meisten Frauen, die sich hier so stark machen für Betroffene und deren Angehörige, ihre ganz eigene, persönliche Geschichte mit Brustkrebs haben. So wie Vorstandsmitglied Julia Curty, 41.

«Mein Leben verlief bis zu diesem Moment perfekt.»

Julia Curty, bei dir wurde vor knapp zwei Jahren Brustkrebs diagnostiziert. Bestimmt brennt sich der Moment der Diagnose für immer ein. Wie war dies bei dir?

Das Leben ertappt dich dann am Meisten, wenn du es am Wenigsten erwartest. Wenn du sagst, es ist zwei Jahre her, dann kann ich es selbst kaum glauben. Es fühlt sich an, als sei es gestern gewesen, ich könnte jede Sekunde dieses Tages wiedergeben. Er hat sich in meinem Gedächtnis regelrecht eingebrannt und war ein grosser Wendepunkt in vielerlei Hinsicht in meinem Leben.

Ich ertastete ganz zufällig am Vorabend einen Knoten in der Brust und ging daraufhin morgens zu einem Arzt, der an diesem Tag Pikett hatte: Natürlich war Feiertag und mein Gynäkologe befand sich in den Ferien. Du spazierst in eine Praxis mit der Erwartung, dass dir jemand mitteilt: «Alles in Ordnung, Sie brauchen sich doch keine Sorgen zu machen…» Aber dem war nicht so. Ein Wildfremder schaut dich während des Ultraschalls sorgenvoll an und sagt: «Das sieht gar nicht gut aus, Sie haben Brustkrebs.» In diesem Moment besticht dich das Gefühl, es sei dein Todesurteil.

Du sitzt alleine in der Praxis, die Menschen dort hast du noch nie in deinem Leben gesehen. Mein Leben verlief bis zu diesem Moment perfekt. Meine zwei kleinen Kinder sitzen Zuhause und warten auf mich, mein Mann ist am Arbeiten. Wen ruf ich zuerst an und was sag ich ihnen?

Bild: Tobias Gerber/Fotoboutique.ch

«Ich habe mir vorgenommmen, dass ich mindestens den 18. Geburtstag meiner Kinder erleben werde.»

Was für Gedanken, welche Situationen haben dir durch die Therapie geholfen?

Aus meiner Sicht bin ich noch nicht ganz austherapiert. So einfach ist das leider nicht. Zuerst kommen die Akuttherapien, rund ein Jahr lang. In dieser Zeit bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken, ein Termin jagt den anderen, du wirst in eine Ärztemaschinerie geworfen, die seinesgleichen sucht. Du hast Angst vor allem was kommt, weil du nicht weisst, was dich erwartet. Die Wochen bis zur Entnahme der Lymphknoten und dem positiven Bescheid, dass diese nicht befallen sind, verbringst du in einer Art Schockstarre. Im Kopf organisierst du bereits deine Beerdigung und schreibst eine Bucketlist. Es ist ein ständiges Hoch und Tief. Die Erkenntnis, dass das Leben doch endlich ist und dass du selbst in diesem Moment nicht entscheiden kannst in welche Richtung es sich wenden wird, ist omnipräsent.

Nachdem die Akuttherapien beendet sind und der Flaum auf dem Kopf wieder wächst, denkt dein Umfeld: «Ach, jetzt ist doch alles wieder in Ordnung. Ist ja nun auch schon eine Weile her…». Aber das Thema gehört von nun an zu deinem Leben. Es begleitet dich ständig. Von diesem Zeitpunkt an sind andere Betroffene sehr wichtig geworden.

Für mich gab es verschiedene Gedankenströme, die mich durch diese Zeit getragen haben: Ich habe mir ganz fest vorgenommmen, dass ich mindestens den 18. Geburtstag meiner Kinder erleben werde. Ich habe ein sehr gutes soziales Umfeld und ein selbst zusammengestelltes «Care Team», das sind vor allem gute Freundinnen, denen ich per Whatsapp jeden Therapieschritt und jedes Gefühl nach jedem Arztbesuch mitteilte. Ich startete sogar eine digitale Abstimmung über meine Perücke…

Schnell merkte ich, dass ich mein direktes Umfeld nicht 24 Stunden mit diesem Thema belasten konnte und suchte nach anderen Möglichkeiten. Der Austausch mit Betroffenen ist ein anderer, die Fragen sind andere, sie sind offener, unverblümt, die Motivation ist eine andere.

Bild: Tobias Gerber/Fotoboutique.ch

«Ich mied Foren, in denen durchweg nur gejammert wurde.»

Wer Krebs diagnostiziert erhält, hat sicher 1000 Fragen. Von wem hast du Antworten erhalten?

Ich behaupte, ich hatte nicht 1000 Fragen, sondern mindestens 10’000. Ich glaube immer noch, dass ich in ein paar Monaten ein kleines Medizinstudium hingelegt habe. Ich hatte – und habe immer noch – das Gefühl, dass Wissen Macht bedeutet, dem Geist zur Genesung verhilft und dass eine aktive und kompetente Patientin bessere Überlebenschancen hat.

Ich löcherte wirklich alle Ärzte, während ich krank geschrieben war – übrigens das erste Mal in meinem Leben – und verbrachte fast den ganzen Tag damit, mich über die Krankheit zu informieren. Ich las Studien auf medizinischen Online-Portalen, Medikamentenbeipackzettel und Wechselwirkungen, diverse klinische Studien zum Thema und zu verschiedenen Therapieansätzen. Ich verschlang Informationsbroschüren der Krebsliga und die Website des deutschen Krebsinformationsdienstes. Ich las Bücher über Spontanheilungen, Ernährung, Sport, alternative Therapien und Anthroposophie. Einfach alles. Ich sagte sogar spontan eine OP ab und verweigerte damit das Einsetzen eines Port-a-Caths, weil ich am Vorabend in einer Studie gelesen hatte, dass ich die Antikörper auch subkutan erhalten könnte, dies in der Schweiz einfach keine gängige Praxis war.

Ich informierte mich vielseitig, um mir am Ende mein «eigenes Paket zu schnüren» – neben der Schulmedizin, denn darauf würde ich niemals verzichten! -, von dem ich denke, dass es mir auf meinem Weg hilft. Antworten habe ich natürlich auch von meinen Ärzten erhalten, die mich zwar manchmal ermahnten weniger zu lesen, sich aber dann doch immer über die tiefgreifenden Diskussionen freuten und mir auch mal weiterführende Lektüre zustellten.

Daneben verbrachte ich enorm viel Zeit auf Instagram, wo ich andere Betroffene virtuell traf und mich mit ihnen über Videochats, Nachrichten und Stories austauschte. Anfangs hätte ich nie gedacht, dass man auf dieser Plattform wirklich so tiefgreifende Lebensgeschichten und Menschen findet, aber es gibt dort eine richtige Community. Andere Foren mied ich relativ schnell, vor allem jene, wo schulmedizinische Erkenntnisse hinterfragt wurden und Quacksalber ihr Unwesen trieben, oder wo durchweg nur gejammert wurde.

«Ich kann meine Familie nicht ständig mit dem Thema belasten, sie würde zugrunde gehen.»

EUROPA DONNA Schweiz ist eine Brustkrebs-Patientenorganisation, bei der sich Betroffene persönlich austauschen können. Wie wichtig waren für dich diese Begegnungen mit anderen Betroffenen?

Der Austausch mit anderen Betroffenen war und ist für mich essentiell, um einigermassen durch die lange Therapie zu kommen. Ich kann meine Familie nicht 365 Tage 24/7 mit dem Thema belasten, sie würde daran zugrunde gehen. Trotzdem ist es für mich aber immer präsent.

EUROPA DONNA bietet Betroffenen, aber auch Nicht-Betroffenen, die Möglichkeit sich zu treffen und Fragen zu stellen. In jeder Situation. Und die Antworten kommen von jemandem, der dasselbe bereits durchgemacht hat. Das ist eine ergänzende Bereicherung zu Breast Care Nurses, Psychoonkologen, Ärzten und Familie, die meistens nicht selbst betroffen waren. Geholfen hat mir auch, dass es hier ausschliesslich um Brustkrebs geht. Wenn eine junge Frau ihre Brust verliert oder nie mehr Kinder bekommen kann, ist das in einer Selbsthilfegruppe zusammen mit anderen Krebsarten ein Thema, was nicht wirklich auf gleichem Level diskutiert werden kann.

Letztens diskutierte ich mit einer betroffenen Freundin und wir stellten fest, dass wir uns durch unsere Begegnungen nun langsam «gegenseitig austherapiert» hätten und der nächste Schritt wohl nun sei, aus unserer Misere langfristig etwas Gutes zu ziehen. Ich glaube viele Betroffene – natürlich nicht alle und das ist auch legitim – haben das Bedürfnis, nach solch einer Krankheit ihre Erfahrungen einzusetzen und damit anderen zu helfen, Mut zuzusprechen und etwas zu bewegen.

«Die Ernsthaftigkeit des Themas wird nicht zu kurz kommen, aber die Freude am Leben darf auch nicht fehlen.»

Am Samstag, 30. März organisiert EUROPA DONNA Schweiz in Bern einen Patientenkongress mit Referaten und Workshops – wen möchtet ihr damit erreichen?

Wir möchten in erster Linie akute Brustkrebspatientinnen und Brustkrebsüberlebende erreichen. Wir möchten sie zum Thema intensiv aufklären und an diesem Tag zu kompetenten Patientinnen und Botschafterinnen der Krankheit machen. Wir möchten aufzeigen, dass man als Patientin Fragen stellen darf und muss.

Wir möchten die Familien und Freunde von PatientInnen ansprechen. Ihnen die Angst vor dem Umgang mit der Krankheit und den Betroffenen nehmen und auch sie hinreichend informieren. Jede Geschichte und jedes Einzelschicksal hat Platz bei uns, am Ende wollen wir aber gemeinsam unsere Ziele erreichen.

Unsere Ziele sind:

– Gleiche Chancen in der Behandlung für alle Frauen schweizweit und dabei gleichzeitig auf die heutigen Missstände in der Öffentlichkeit aufmerksam machen.

– Information verbreiten: Frauen aufklären und sie zu kompetenten Patientinnen machen, sie in zertifizierte Brustzentren senden.

– Lobbying: Druck in der Politik machen, so dass flächendeckende Behandlungschancen eingeführt werden.

Der 30.3. wird ein Tag, den es so zu diesem Thema in der Schweiz noch nicht gegeben hat: Wie es die Gestaltung des Programms und deren Aufmachung bereits verrät, haben wir versucht, aus der konventionellen Schiene für medizinische Vorträge auszubrechen. Die Ernsthaftigkeit des Themas wird auf jeden Fall nicht zu kurz kommen, aber die Freude am Leben, an der Musik und sicherlich ein paar bewegende Momente, die in bleibender Erinnerung bleiben werden, dürfen dabei auch nicht fehlen.

Alle Informationen zum Event: europadonna.ch

Tickets gibt es bei TICKETINO und in allen BLS Reisezentren bis zum 29.3. für den Preis von CHF 40.00 (Mitglieder EUROPA DONNA: CHF 20) inklusive Mittagsbuffet, Vorträgen, Yoga und Workshops.

Text: Anna Maier
Bilder: Julia Curty , Tobias Gerber

BH-Aktion auf dem Bundesplatz, 2008. Bild: Julia Curty/EUROPA DONNA Schweiz

EUROPA DONNA Schweiz

Dahinter stehen dieselben Frauen, die vor 10 Jahren mit der „Aktion BH“ mit tausenden von Büstenhaltern auf dem Bundesplatz in Bern die Forderung nach qualitätsgesicherten Mammografie-Screenings für alle Schweizer Kantone sichtbar machten. Die Bilder gingen um die Welt. Julia Curty war eine der Fotografinnen. Sie ahnte damals, 2008, noch nicht, dass sie bald selbst an Brustkrebs erkranken würde: „Ein schauriger Zufall.“

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Kommentare

  • Avatar
    Claudia Kramer-Marazzi
    REPLY

    Liebe Anna Maier
    Wieder freue ich mich sehr über Ihr neues Magazin, welches sich wohltuend von anderen Presseerzeugnissen abhebt: behutsam interviewt, sorgfältig recherchiert, Verzicht auf reisserische eyecatcher! Im Gegensatz zu vielen Journis nehmen Sie sich zurück, überlassen Ihren Gästen die Bühne und sagen mit Ihrer Interviewtechnik viel über Ihr Menschenbild und Ihre Professionalität aus.
    Herzlichen Dank für Ihre Arbeit und liebe Grüsse

    1. März 2019
  • Avatar
    Andreas Käppeli
    REPLY

    Ich habe mich nach einer Krankheitsdiagnose ähnlich gründlich informiert. Zuerst nervte sich mein Arzt, bis wir beide merkten, dass wir als Team am stärksten sind.

    5. März 2019

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