«Ich hatte alles, nur kein Leben.» Frank Maruccia, Weinproduzent
Mit seiner Online-Marktforschung scheffelte er Millionen. Frank Maruccia war in Deutschland ein gefeierter Pionier. Heute ist Entschleunigung sein Reichtum. Als Weinproduzent fokussiert er sich aufs Wesentliche.
«Sicherheitshalber.» Das Whatsapp mit einem Pin zu seiner Bodega trifft ein, ein paar Minuten bevor wir uns verabredet haben. «Bis gleich. Hoffe, du wirst nicht weggeblasen.» Da kümmert sich jemand. Das Wetter ist aber auch garstig: Ein Sturm fegt mit bis zu 100km/h über Mallorca.
Es ist vergleichsweise ruhig auf seinem Weingut, 1,5 Hektar Land, aufgeräumt sieht es aus. Die Rebstöcke stehen in Reih und Glied, die grosszügige Finca ist schlicht und gemütlich eingerichtet. Hier wohnt jemand mit Geschmack, ein Ästhet. Das Wetter ist sogleich vergessen, als der Deutsche mit italienischem Vater eine Führung anbietet. Weinkeller? Oh ja, beginnen wir mit dem Herzstück.
Betoneier statt Holzfässer
Ein selbst konstruierter Lastlift fährt in die Tiefe. «Der kann bis zu drei Tonnen transportieren. Den habe ich bauen lassen wegen meiner 2500 Kilogramm schweren Betoneier, in denen ich meinen Chardonnay reifen lasse. Ich habe ganz schön gezittert, als wir die schwere Fracht geladen hatten.»
Der Auswanderer war der erste auf der Insel mit Betoneiern für seinen Weisswein. «Wenn du mit Hefe arbeitest, kann die so optimal zirkulieren.» Heute setzen sieben weitere Bodegas darauf. Maruccia, ein Pionier. Auch hier. In einem Fachgebiet, das er sich selber angeeignet hat. Mit Praktika in Australien, Südafrika und in den USA. «Wenn du etwas wirklich mit Begeisterung machst und mit etwas Fingerspitzengefühl, ist es egal, ob du es gelernt hast.»
Weinliebhaber statt Platzhirsch
Jeden Schluck memorisiert der Weinfanatiker, macht sich Notizen dazu in einem schweren Buch. Um den Prozess der Gärung zu verfolgen. Fasziniert höre ich zu, wie er von Noten schwärmt und damit verschiedene Geschmacksrichtungen meint, wie er über Säuren und Bitterkeit sinniert.
Ich versuche, ihn mir als Geschäftsmann vorzustellen, wie er vor 20 Jahren als «hemdsärmliger Gentlemen» – von der Zeitung «Die Welt» damals so beschrieben – die Marktforschungsbranche wachrüttelte. «Unsere Konkurrenz hatte die Entwicklung total verschlafen.» Die Entwicklung war das Internet, das Frank Maruccia als erster nutzte für die Marktforschung. Als Chef der Hamburger Media Transfer AG baute er international Pools an Internetnutzern auf, die für Studien befragt werden konnten. Damit wurde die Studienzeit verkürzt und die Umfragen waren präziser als alle bisher dagewesenen, ein Shootingstar war geboren.
Erfolg statt Spass
Seine Firma, vier Mitarbeiter, die in einer kleinen Wohnung werkelten, wuchs in Windeseile. Vier Jahre und 30 Mitarbeiter später residierte sie in einer Hamburger Villa. Und trotzdem war ihm nicht nach Feiern zumute: «Ich war damals so extrem verbissen. Was schlimm war: Mein ganzes soziales Umfeld ist mir weggebrochen, weil ich nur gearbeitet habe.
Morgens der erste im Büro, abends der letzte. Zuhause schaust du vielleicht noch eine halbe Stunde fern und dann gehst du schlafen. Die Jahre sind einfach vorbeigezogen. Es war zwar schon spannend, weil ich ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut habe, aber der Preis war hoch. Wenn es so weitergegangen wäre, hätte ich jetzt eine Villa an der Aussenalster, aber es hat irgendwann keinen Spass mehr gemacht. Ich habe vieles hinterfragt: Ist es das rein Monetäre, das mich lockt? Dass du das dickste Auto hast, das grösste Haus? Und dann sagte ich: Jetzt ist Schluss.»
Maruccia hatte alles, wovon junge Unternehmer träumen – ausser ein Leben neben der Arbeit. Kaum Freunde, keine funktionierende Beziehung. Er zieht die Reissleine. Verkauft seine Firma an ein amerikanisches Unternehmen und fühlt sich erstmals frei.
Inselfrust statt Insellust
Von 1000 auf null, wie ein Pensionär, der sich nicht mehr gebraucht fühlt? Er lacht herzhaft über meinen Vergleich. «Na ja, ich kann ja nicht mal eine halbe Stunde an den Strand liegen oder an den Pool. Ich war nach dem Verkauf für ein paar Jahre weg und habe nicht gearbeitet sondern nach einem Ort gesucht, wo ich leben könnte. Nach Australien und Neuseeland war ich auf den Fidschi-Inseln, das war ganz furchtbar! Da kannst du nichts machen ausser Schnorcheln und Bücher lesen.»
Mallorca statt Toskana
Dass er sich schlussendlich für Mallorca entschied, um die Zelte für seine zweite Lebenshälfte aufzuschlagen, hatte einerseits mit dem Klima zu tun – «Ich bin ein Sonnenanbeter! Alle finden es hier schrecklich im Sommer. Ich mag, wenn es knackig warm ist.» -, aber auch mit ganz praktischen Gründen: «Ich habe mir als Halbitaliener natürlich auch das Heimatland meines Vaters angeschaut. Die Toskana ist aus dem Raster rausgefallen, von der Infrastruktur her ein Fiasko. Da ich nach dem Verkauf als Key Account Manager für meine Firma noch regelmässig nach Hamburg fliegen musste, suchte ich nach einem Ort mit guter Anbindung. Mallorca ist ideal.»
Als erstes entledigte er sich auf der Insel seines Mobiltelefons: «Ich hatte die ersten Jahre, als ich hier ankam, kein Handy. Ich wollte das nicht. Ich habs gehasst, dieses überall erreichbar sein.» Es gab auch nicht mehr so wahnsinnig viele Freunde, die ihn zu erreichen versucht hätten. Die Brücken in Deutschland brach er komplett ab.
Studium statt Hauptschulabschluss
Es war nicht das erste mal, dass Frank Maruccia aufbrach in eine neue Welt. Man könnte es Flucht nennen oder Befreiungsschlag. Als ihn dieses Freiheitsbedürfnis zum ersten Mal in Beschlag nahm, war er blutjung. «Ich komme aus ganz einfachen Verhältnissen, hatte bloss einen Hauptschulabschluss. Mein Vater hatte eine Raumausstattungsfirma und sagte, du brauchst nix anderes, du kommst dann zu mir. Aber ich war todunglücklich. Irgendwann habe ich mich durchgesetzt, das Abitur nachgeholt und studierte Wirtschaftswissenschaften in Augsburg und anschließend Market Research in Nord-Irland. Dort hat man mir nach einem ganz ordentlichen Abschluss eine Doktorandenstelle angeboten. Das war natürlich für den kleinen Buben mit dem Hauptschulabschluss schon sehr interessant. Aber an der Uni wäre ich eingegangen wie eine Primel. Ich bin eher der Praktiker und kein Theoretiker.»
«Um ein Haar» wäre er in Nord-Irland geblieben, auch dank seiner damaligen Freundin. Noch heute spricht er Englisch mit einem Nordirischen Dialekt und schwärmt vom Land, aber «das Wetter ist einfach zu schlecht.» Ich staune etwas über seine Wetterfühligkeit, aber er scheint es ernst zu meinen.
Einzelgänger statt Mitläufer
Der Rastlose lebt nun seit bald zehn Jahren in der Nähe der Kleinstadt Llucmajor. Bis zum 19. Jahrhundert war die Gegend ein bekanntes Weinanbaugebiet. Bis die Reblaus kam und alles zerstörte.
Ist es bezeichnend, dass der ehrgeizige Maruccia, Pionier aus Leidenschaft, hier seinen Traum vom eigenen Weingut verwirklicht und nicht zum Beispiel in Bini Salem, wo es fruchtbaren Boden und deshalb zahlreiche Bodegas gibt? «Ich liebe es, mein eigenes Ding zu machen. Llucmajor ist das ursprüngliche Mallorca. Und die Mallorquiner finden es schön, dass hier wieder Wein angebaut wird. Auch wenn die wohl zuerst dachten: Jetzt kommt ein Spinner!»
Er ist anders. Das weiss er und das nutzt er. Vermutlich ist es sogar sein Erfolgsgeheimnis. «Ich nutze nur Regenwasser zur Bewässerung, einach das, was runterkommt und sonst nix. Du siehst hier auch keine Bewässerungsanlage. Bei einem alten Schmid habe ich spezielle Messer für meinen Grubber zur Bodenbearbeitung machen lassen, damit fahre ich durch die Rebstöcke und schneide den Boden auf. Im Sommer bewege ich ihn so wenig wie möglich, so wie es die Mallorquiner früher auch machten.»
Familienersatz statt Einsamkeit
Wenn er loslegt und über seine Leidenschaft erzählt, ist er kaum zu stoppen. Er spricht dann schnell und ohne Punkt. Man kann ihn sich gut vorstellen inmitten von vielen Menschen, gestikulierend, austauschend, geniessend. Genauso beschreibt er seine Kindheitserinnerungen an des Onkels Weingut im süditalienischen Apulien: «Ich habe damals festgestellt, dass man damit zwar nur wenig Geld verdienen kann. Ich habe trotzdem nur positive Assoziationen gespeichert: Du bist die ganze Zeit zusammen, fix und foxi, aber setzt dich trotzdem nach getaner Arbeit hin, isst und trinkst. Da ist ein immenser Zusammenhalt.»
In seinen Worten schwingt Wehmut mit, vielleicht sogar eine Prise Einsamkeit. Ist seine Bodega vielleicht sogar ein Familienersatz?
«Ich glaube, das stimmt schon. Ich habe mir mit meinem Wein-und Genussclub tatsächlich eine Art Ersatzfamilie kreiert. Auf jeden Fall habe ich mir damit die Freiheit geschaffen, micht mit Leuten zu umgeben, mit denen ich gerne meine Freizeit verbringe. Dass ich selber keine Kinder habe, hat mit meiner eigenen Geschichte zu tun. Ich bin nicht in einem Elternhaus grossgeworden, wo einem die Glückseligkeit einer Ehe vorgelebt wurde. Ich wollte nicht zwei, drei Kinder und mich dann scheiden lassen.»
Lust statt Frust
Der Club de Vino 953: Die ursprüngliche Idee, die seinem Weingut den Namen gab, hätte aus genau so vielen Mitgliedern bestehen sollen. Jeder hätte 10 der jährlich produzierten 8000-10’000 Flaschen gekauft. Maruccia hat trotzdem drastisch reduziert auf 35 Personen, auf das Familiäre, die Lust an der Freud.
«Als ich knapp 300 Mitglieder hatte, merkte ich, dass das Konzept zwar rein ökonomisch funktionierte, aber nicht für mich. Das wurde einfach zuviel. Plötzlich hatte ich Leute um mich, mit denen ich eigentlich gar nichts anfangen konnte. Da habe mich dann gefragt, für wen machst du dies eigentlich?»
Hier spricht einer, der seine neue Freiheit verteidigt. Der lieber neue Vertriebswege sucht, seine Weine an die richtigen Leute zu bringen, wie beispielsweise über die Spitzengastronomie, anstatt sich zu verbiegen. Einer, der ganz oben auf dem Gipfel war und bemerkt hat, dass das Leben in der geschützten Steilwand vielleicht sogar angenehmer ist. «Ich fühl mich wohl hier und ich habe mir ein Umfeld geschaffen, wo glücklich sein möglich ist. Selbst wenn Glück nicht stetig ist.“
54 ist er nun, steht Mitten in seinem zweiten Leben. Irgendwie kriegt man den Eindruck, dass es nicht Maruccias letztes ist.
Bilder: Vicki McLeod
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